Montessori in der Diskussion
Wie bei einem so umfangreichen pädagogischen Werk und einer so langen Schaffenszeit zu erwarten, gibt es vielschichtige Diskussionen um Montessoris diesbezügliche Auffassungen. Diese Seite ist Teil der Rubrik Montessori in der Diskussion, die diverse Streitpunkte um ihre Pädagogik inkl. Kritikerquellenangaben im Detail darlegt. Es wird daraus eine lebendige Diskussion deutlich, die sich in unzähligen Publikationen teilweise Jahrzehnte zurückverfolgen lässt.
Einleitung
Im Text "Kritik und Metakritik der Pädagogik Maria Montessoris" schreibt Prof. Harald Ludwig, Herausgeber der Maria Montessori Gesammelte Werke und die herausragende Autorität der heutigen Zeit zu ihrem Werk, ausführlich über die Herausforderungen, Montessoris Werk zu interpretieren.
In zweiten Kapitel des Textes schreibt er aus seiner Sicht die "Grundregeln für eine wissenschaftliche Diskussion der Pädagogik Maria Montessoris", die sich aus der Komplexität ihres Werkes ableiten. Zur Weiterentwicklung ihre Pädagogik äußert er sich im hier veröffentlichten zweiten Unterkapitel. (Das erste Unterkapitel ist auf der Seite Montessori in der Diskussion zu finden.)
Vermittlung der Erkenntnisse Montessoris mit dem Forschungsstand der Gegenwart als bleibende Aufgabe (Harald Ludwig 2022)
Neben der Beachtung hermeneutischer Grundstandards zur korrekten Ermittlung der Auffassungen Montessoris bedarf es für eine kritische Diskussion weiterhin der Einordnung ihrer Erkenntnisse in den wissenschaftlichen Forschungsstand der Gegenwart. Dabei ergibt sich möglicherweise die Notwendigkeit einer Modifizierung, Weiterentwicklung, Ergänzung oder auch Korrektur von Auffassungen Montessoris. Aber auch eine Bestätigung ihrer Auffassungen ist möglich. Dies betrifft allgemeinpädagogische[1] und didaktische[2] Themen. So sind in den letzten Jahren thematische Hefte der beiden führenden deutschsprachigen Montessori-Zeitschriften – Montessori und Das Kind – sowie teilweise sehr umfassende und gründliche Studien vorgelegt worden, welche der 1995 von Horst Klaus Berg erhobenen Forderung, die Montessori-Pädagogik für das interdisziplinäre Gespräch zu öffnen[3], Rechnung tragen.
Dies gilt für allgemeine pädagogische Probleme wie die angemessene Förderung hochbegabter Kinder[4] ebenso wie für so zentrale fachliche Bereiche wie Mathematik[5] und Sprache[6], aber auch für die Religionspädagogik[7] oder die musisch-künstlerischen Fachbereiche[8] und nicht zuletzt für die fächerübergreifende, integrierende Gesamtkonzeption einer "Kosmischen Erziehung".[9]
Letztere kann man als einen frühen Entwurf einer ökologisch orientierten Pädagogik verstehen und in Beziehung setzen zu den ökopädagogischen Bemühungen in der heutigen Zeit. [10]
Man wird ferner nicht übersehen können, dass Montessoris Pädagogik von Anfang an weltweit und interkulturell orientiert war und von daher ein erhebliches Potenzial für Fragen der interkulturellen Erziehung besitzt, die uns heute sehr beschäftigen.[xi] Damit ist zugleich ein Beitrag zu einer Erziehung zum Frieden verbunden, die für Montessori, die nach dem 2. Weltkrieg dreimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, ein zentrales Anliegen war.[11]
So wird auch im 21. Jahrhundert eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit der Pädagogik Maria Montessoris und ihren Weiterentwicklungen in der welt-weit verbreiteten Montessori-Pädagogik in Theorie und Praxis wichtige Impulse vermitteln können – wenn es um die Konzeption und Realisierung einer freiheitlichen, dem Kind und dem Jugendlichen, dem Menschen überhaupt gerecht werdenden humanen Erziehung und Bildung geht, die zugleich auf ein friedvolles und demokratisches Zusammenleben der einen Menschheit der Zukunft gerichtet ist.[12]
fussnoten
[1] Vgl. z. B. zu Montessoris Theorem der „sensiblen Phasen“: Dichgans, Johannes: Die Plastizität des Nervensystems – Konsequenzen für die Pädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik 40 (1994), S. 229–246. Pickenhain, Lothar: Montessori im Lichte der Neurowissenschaft, in: Harth-Peter, Waltraud (Hrsg.): „Kinder sind anders“ – Maria Montessoris Bild vom Kinde auf dem Prüfstand, Würzburg 1996, S. 153–181. Oerter, Rolf: Montessori aus der Sicht der heutigen Entwicklungspsychologie, in: Harth-Peter (Hrsg.), a. a. O., S. 183–201; Holtstiege, a. a. O. (1999).
[2] Siehe z. B. Ludwig, Harald: Montessori-Schulen und ihre Didaktik, Baltmannsweiler 2004, 2. aktual. Aufl. 2008.
[3] Berg, Horst Klaus: Die Montessori-Pädagogik für das interdisziplinäre Gespräch öffnen, in: Montessori 33 (1995), H. 1, S. 26–34.
[4] Grindel Esther: Lernprozesse hochbegabter Kinder in der Freiarbeit der Montessori-Pädagogik, IdR Bd. 17, Berlin/Münster 2007.
[5] Vgl z. B. Hanewinkel, Nicole: Handlungsorientiertes Lernen mit dem Bruchrechenmaterial Maria Montessoris, IdR Bd. 18, Münster 2007; Thom, Sandra: Kinder lernen entdeckend. Eine hermeneutische Untersuchung zur Konzeption und Realisierung des Mathematikunterrichts Maria Montessoris, Reihe: texte zur mathematischen forschung und lehre 75, Hildesheim 2010.
[6] Vgl. z. B. Fischer, Reinhard (Hrsg.): Sprache – Schlüssel zur Welt, 2 Bde., Bd. 1: Handbuch zur Theorie und Praxis der Spracherziehung in der Montessori-Pädagogik, Donauwörth 2005; Bd. 2: Materialien zur Spracherziehung in der Montessori-Pädagogik, Donauwörth 2006.
[7] Vgl. z. B. Berg, Horst Klaus: Montessori für Religionspädagogen – Glauben erfahren mit Hand, Kopf und Herz, Stuttgart 1994 (3. bearb. Aufl. 1999); Kabus, Andrea: Zur Rezeption der Montessori-Pädagogik in der Religionspädagogik, Würzburg 2001. Siehe auch Ludwig, Harald: Literatur- und Forschungsbericht zum Thema „Religiöse Erziehung und Montessori-Pädagogik“, in: Montessori 46 (2008), H. 4, S. 277–299.
[8] Vgl. z. B. Ludwig, H. / Fischer, Ch. / Fischer R. / Klein-Landeck, M. (Hrsg.): Musik – Kunst – Sprache. Möglichkeiten des persönlichen Ausdrucks in der Montessori-Pädagogik, IdR 13, Berlin 2006; Tervooren, Helga: Montessori-Pädagogik und rhythmisch-musikalische Erziehung im Kontext reformpädagogischer Modelle, Essen 1999; Meyer, Claudia: Musikdidaktik bei Maria Montessori und Rudolf Steiner, Berlin 2000; Hosterbach, Hildegard: Musikalisches Lernen in der Montessori-Pädagogik, IdR Bd. 11, Münster 2005. Berg, Horst Klaus: Kinder, Kunst und Montessori. Mit Freiarbeitsmaterial für Kinderhaus und Schule, Norderstedt 2010.
[9] Fischer, R. / Klein-Landeck, M. / Ludwig, H. (Hrsg.): Die „Kosmische Erziehung“ Maria Montessoris, IdR Bd. 2, Münster 1999; Themenhefte der Zeitschrift Das Kind 34/2003 bis 37/2005 und der Zeitschrift Montessori 2/2015; Ludwig, H.: Literaturbericht zur „Kosmischen Erziehung“ bei Maria Montessori, in: Montessori 45 (2007), H. 1–2, S. 78–86.
[10] Ludwig, H.: „Kosmische Erziehung“ – ein ökologisch orientiertes Erziehungs- und Bildungskonzept aus dem Spätwerk Maria Montessoris, in: Montessori 53 (2015), H. 2, S. 38–62.
[11] Vgl. Ludwig, H.: Montessori-Pädagogik und interkulturelle Erziehung, in: Ludwig, H. (Hrsg.): Montessori-Pädagogik in der Diskussion, Freiburg 1999, S. 363–382.
[12] Siehe Montessori, M.: Frieden und Erziehung, Freiburg 1973 (= Gesammelte Werke Bd. 9, in Vorb.).
Quellenhinweise
Aus: Maria Montessori, Grundgedanken der Montessori-Pädagogik, Hg. Harald Ludwig
© 2022 Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Kursivsetzungen sind im Original.