„Wir wollen die Vergangenheit kennen, um für die Zukunft zu lernen“ - Montessori Deutschland initiiert Forschungsprojekt zur Montessori-Bewegung im Nationalsozialismus
Montessori Deutschland hat ein Forschungsprojekt initiiert, das sich mit der Vergangenheit der Montessori-Bewegung in Deutschland vor und nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten kritisch auseinandersetzt - der Projektstart erfolgt umgehend.
Für die Durchführung dieses Projekts mit dem Titel "Montessori-Pädagogik im Kontext des deutschen Nationalsozialismus" konnte der Bildungsforscher Univ.-Prof. Dr. Heiner Barz, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, gewonnen werden, der durch einschlägige Aufsätze, Monographien und ein Handbuch zur Reformpädagogik bestens ausgewiesen ist.
Ausgangspunkt des bildungshistorischen Forschungsprojekts zur Montessori-Pädagogik ist die Erkenntnis, dass man bisher nur wenig über die Geschichte der Montessori-Verbände in Deutschland weiß. Insbesondere aus der Zeit der späten Weimarer Republik und in den ersten Jahren des NS-Staates, bevor Montessori-Einrichtungen 1936 endgültig verboten wurden, sind nur einzelne Ereignisse bekannt. Beispielsweise ist bekannt, dass es ab 1930 konkurrierende Verbände gab, die man unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Strömungen zuordnen kann: Während in der von der Montessori-Pädagogin Clara Grunwald 1925 gegründeten Deutschen Montessori Gesellschaft eher mit sozialistischen Ideen sympathisiert wurde, schien man im 1930 gegründeten Verein Montessori-Pädagogik Deutschlands (VMPD) eher bürgerlich-konservativen Vorstellungen anzuhängen. Dem VMPD standen bedeutende Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Konrad Adenauer oder Max Reinhardt nahe.
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Über das Wirken und über die letzten Lebensjahre der Jüdin Clara Grunwald, insbesondere ihren Einsatz für die ihr anvertrauten Kinder und ihr Tod im KZ Auschwitz-Birkenau im Jahr 1943, wurde seit den 90er Jahren im Rahmen wissenschaftlicher Recherchen und bildungshistorischer Publikationen schon einiges an Informationen zusammengetragen. Auch finden sich zahlreiche Belege aus den 1920-er Jahren für eine enge Zusammenarbeit Grunwalds mit dem „Bund entschiedener Schulreformer“, dem das damalige SPD- und spätere KPD-Mitglied Paul Oestreich vorstand. Gleichwohl bleiben Lücken. Erst recht sind über die genauen Abläufe der konkurrierenden Neugründung VMPD, über die bildungspolitische Positionierung und Einflussnahmen von Maria Montessori auf die deutsche Montessori-Bewegung bislang nur wenig belastbare Archiv-Dokumente verfügbar.
„Gründliche Archiv-Arbeit erforderlich“
Vor allem die Auslotung von Nähe und Distanz der deutschen Montessori-Anhängerinnen und -Anhänger zum heraufziehenden und schließlich ab 1933 gesellschaftlich beherrschenden Nationalsozialismus bedarf gründlicher Recherchen. Bisher verfügbare Quellen deuten darauf hin, dass es unterschiedliche Reaktionen auf die Machtergreifung der Nazis gab: Sie reichen von NSDAP-Mitgliedschaft und Anbiederungsversuchen, über Abtauchen und innere Emigration bis hin zu aktiver Opposition.
"Hier wird gründliche Archiv-Arbeit erforderlich sein, um das tatsächliche Verhalten von Montessori-Verbänden, Vereinen und Einrichtungen in einer totalitären gesellschaftlichen Ordnung konkret aufarbeiten zu können", sagt Dr. Jörg Boysen, Bundesvorsitzender von Montessori Deutschland. "Aufgabe wird es auch sein, den vereinzelten Hinweisen und Spuren nachzugehen, die sich bisher verstreut in Zeitschriften-Beiträgen oder historischen Publikationen finden."
Dr. Jörg Boysen betont: "Das Bekenntnis zu Humanität und Menschenrechten sowie gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit gehört zum Selbstverständnis von Montessori Deutschland. Wir wollen die Vergangenheit besser kennen und verstehen, um daraus für die Zukunft zu lernen."
Prof. Barz, der mit dem Forschungsprojekt beauftragt wurde, sieht der Aufgabe der historisch-kritischen und dokumentenbasierten Aufarbeitung der deutschen Montessori-Bewegung in der fraglichen Zeit mit Interesse entgegen. "Mich hat gewundert, dass man über die konkreten Abläufe der Verbandsgeschichte, die Verbote der Montessori-Einrichtungen durch die Nazis kurz nach der Machtergreifung, aber auch über die damaligen Bemühungen der in Deutschland tätigen Montessori-Pädagoginnen und -Pädagogen bislang so wenig weiß. Daher ist es gerade in einer Zeit, in der zurecht auch kritische Fragen an pädagogische Reformströmungen gestellt werden, wichtig, sich über die tatsächlichen Ereignisse Klarheit zu verschaffen."
Ein fünfköpfiger Projektbeirat, besetzt mit Fachleuten aus Erziehungswissenschaft, Bildungsgeschichte, Archivwesen und Montessori-Historie, wird bei der Durchführung des Projekts inhaltlich und methodisch beraten.
Hier gelangen Sie zur Pressemeldung vom 20.02.2025.
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